Keine Frage, von der Hegemonie der klassischen, französisch inspirierten Hochküche ist nicht viel über. Angesichts einer traditionellen Galamenüfolge (Gratinierte Austern, Ochsenschlepp­consommé, Hummer Armoricaine, Getrüffeltes Entrecote, Flambierte Crêpe Suzette) neigt der anspruchsvolle Diskursschlemmer von heute dazu, ansatzlos in ein Langeweilekoma zu fallen.

Wie alle dem Extrem zuneigenden Kunstformen droht aber auch der schicke neue Radikalpurismus sich an den eigenen Vorgaben zu erschöpfen. Der abstrakte Expressionismus etwa war ja irgendwie mit seinem Erfinder Jackson Pollock auch gleich schon wieder erledigt.

Und als René Redzepi uns lehrte, Rinde, Flechten und Moose zu lieben, lag von Anfang an eine Vorahnung in der Luft, dass hier kaum noch Steigerung möglich ist.

Weit gefehlt. Die Steigerung der New Nordic Cuisine ist da, aber sie kommt nicht aus dem Norden. Sondern aus jenem Land, das seit je kulturelle Konzepte übernimmt, adaptiert und auf die äußerste Spitze treibt: Japan. Wir zitieren aus einem Artikel des Spiegel über das Tokioter Restaurant „Ne Quittez pas“ und seine Spezialität: „Das Erdmenü in sechs Gängen. Als Vorspeise bringt der Kellner ein kalorienarmes Gelee mit Erdaroma. Zum Rucolasalat mit Muscheln gibt es ein mit Essig und Öl angerührtes Erddressing …“ Und so weiter, über das Schweinesteak mit Erdrisotto bis zum leider ungenannt bleibenden Dessert (Gatschgugelhupf?). Die natürlich unausweichliche Folge: „Bekannte Köche aus Spanien und den Niederlanden wollen sich von Küchenchef Tanabe die Rezepte erklären lassen. Aus Deutschland war Tim Mälzer da.“

Na also. Und weil traditionell natürlich alles, was irgendwo in Europa hip ist, mit drei Jahren Verzögerung in Wien auftaucht, können wir schon einmal vorsorglich Schauferln und Küberln als Tischdekoration anschaffen. (Ein Export dieses Küchenstils nach Italien dagegen scheint problematisch. Traditionell beschimpfen die Norditaliener die Süditaliener ja als „Erdfresser“. Wenn man den Wunsch hat, von einem Sizilianer eine Watschen zu empfangen, ist es zielführend, ihn „Terrone“ zu nennen.)

Mittelfristig könnte Meister Tanabes ­Kücheninnovation aber gerade für Österreich den Aufstieg in die kulinarische Champions League bedeuten. Nicht nur, weil der biodynamische steirische Ausnahmewinzer Sepp Muster seinen Topwein schon seit Jahren in weiser Voraussicht „Erde“ nennt. Sondern vor allem, weil wir mit der Salzburger Firma „Sonnen-Trinkmoor“ den Marktführer auf dem Trinkmoor-Sektor im Lande haben dürften. Noch bewirbt das Unternehmen sein Produkt etwas funktionalistisch („Natürliche Inhaltsstoffe: Kieselsäure, Calcium, Magnesium, Natrium, Kalium, Eisen, Mangan …“).

Aber mit einem kleinen Spritzer Degustations­lyrik klänge das doch gleich anders: „Als Aperitif vielleicht unser Kiesel-Kir, Bachkiesel aus der Krimmler Ache, im eigenen Sud kalt angesetzt, sehr schliffig, sehr mineralisch, dann vielleicht weiter mit unserem Hausklassiker, dem Riedentrub, 28 Tage auf Weinviertler Löss ausgebauter Feinschlamm, etwas oxidativ, aber ein fantastischer Speisenbegleiter, und zum Hauptgang dann doch die Cuvée ‚Terre Noir‘, mächtig, dicht, einfach im besten Sinne erdig!“

Im Weiteren erwüchse wohl den Fleisch-Fanzines wie Meet und Beef! Konkurrenz aus dem Erdsektor (Dirt!), die Zielgruppe wäre wohl weitgehend deckungsgleich mit jenem wieder wachsenden Segment der Gesellschaft, dem die Heimaterde heilig ist. Auf das YouTube-Video, in dem sich Heinz-Christian ­Strache mit aufgepudeltem Stolz dabei filmen lässt, wie er eine Portion „Scholle paniert“ verzehrt, darf man sich jetzt schon freuen. Und sein derzeitiges politisches Vorbild, Wladimir Putin, kann seinen mittlerweile ­erfolgreich vor schwulem europäischen Obst geschützten Untertanen das in den Sonntagstopf stecken, was seit jeher die Machtgrundlage der Zaren aller Couleur war: Die endlose russische Erde.

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